Explosiv am Start. Wie ein Tiger, der aus dem Käfig will. Ganz ruhig am Schlitten. Athlet und Sportgerät als Einheit. Doch der von der Sport-Gala-Jury zu Berchtesgadens „Sportler des Jahres“ gekürte Felix Keisinger ist bei der Konkurrenz mittlerweile aufgrund einer ganz anderen, hervorstechenden Qualität „gefürchtet“: Spektakuläre Aufholjagden. „Das ist in letzter Zeit tatsächlich so etwas wie ein Markenzeichen geworden“, lacht der Skeleton-Pilot. Gleichwohl würde sich der Königsseer viel mehr wünschen: Zwei gleichmäßig starke Fahrten in die Eiskanäle dieser Welt zu zaubern. Durch die Tatsache, dass er bislang meist „nur“ einen guten Lauf hinbekam, blieb ihm ein Weltcup-Sieg bislang verwehrt.

Am Königssee am 24. Januar hätte Felix Keisinger gewinnen können – hätte: Denn ein Fast-Sturz nach der Kreisel-Ausfahrt machte einen Heimsieg vorzeitig, bereits nach Lauf eins zunichte. Zwischenplatz 12. Der sagenhafte Ritt im zweiten Lauf, mit einer gewissen Portion Wut im Bauch, bescherte ihm die absolute Bestzeit aller 30 Konkurrenten. Er begab sich in die Leadersbox und stellte dort einen nicht bestätigten Verweil-Rekord auf: Denn neun zuvor besser platzierte Skeleton-Herren bissen sich an „Keisis“ Top-Gesamtmarke im Anschluss die Zähne aus – und der Jubel des Jungspunds steigerte sich von Konkurrent zu Konkurrent. Lediglich Alexander Tretiakov (1.) und Olympiasieger Sungbin Yun (2.) überholten ihn danach noch aufgrund ihres Vorsprungs aus Lauf eins, und Keisinger freute sich diebisch über Bronze. Freilich: Ein Königssee-Sieg vor der Familie, Freunden und Fans steht auf seiner Wunschliste damit weiterhin ziemlich weit oben. Somit hat er eines noch ganz sicher: Viele Ziele.

Der „Keisi“ hat einiges ausprobiert, ehe er zum Skeleton-Sport kam: Judo, Langlaufen – „aber da fehlte mir auf Dauer der Adrenalinkick“. Über Landestrainer Peter Meyer kam er 2011 erstmals „ernsthaft“ zur Kunsteisbahn – die er vom Garten seines Elternhauses sehen kann –, weil „es für ein Schnuppertraining eine Freistunde gab“, lacht er. „Ein Glücksfall“ weiß er heute. „Der Sport hat mich von Anfang an gefesselt. Weil er wie Achterbahnfahren mit Lenken ist, genau mein Ding.“ Bis hierhin war es auf alle Fälle „schon mal eine total coole Zeit.“

Kein Jungspund-Bonus mehr

Der gewisse Jungspund-Bonus, der Felix Keisinger als 22-Jährigen in einer ganzen Riege erfahrener Piloten, die die 30 längst überschritten, in der vergangenen Saison noch begleitete, dürfte nun verpufft sein. Weil er stark unterwegs ist – belohnt durch den 4. Rang im Gesamt-Weltcup – unterschätzt ihn mittlerweile keiner mehr. „Mir war diese Außenseiterrolle ganz recht“, sagt der gebürtige Berchtesgadener. „Denn somit hatte ich kaum Druck. Niemand erwartete etwas Großes von mir.“ Wie das mit der Erwartungshaltung so ist, spürte Keisinger bei der Junioren-WM im Februar in Winterberg: „Da war ich als Titelverteidiger plötzlich wieder der Favorit, und das war dann gleich eine ganz andere Situation und Anspannung für mich.“ Prompt lief‘s im ersten Durchgang nicht optimal. Im zweiten Lauf packte der Titelverteidiger dann aber doch eine für sein Alter erstaunliche Routine aus und distanzierte die Konkurrenz – vor allem jene aus dem eigenen Lager – bei seiner vorletzten Junioren-WM deutlich.

Trotz seiner oft so unterschiedlichen Vorstellungen in der Bahn gibt Felix Keisinger preis: „Ich gehe an beide Läufe immer mit der gleichen Emotion und Einstellung. Und bin nicht bei dem einen Durchgang nervöser als beim anderen. Mir unterlaufen halt noch oft blöde Fehler – wie im Januar am Königssee. Dort fahre ich seit meinem 13. Lebensjahr, und ein Patzer wie dieser ist mir – vor allem an dieser Stelle – fast noch nie passiert. Und ich hoffe, er wird mir dort auch nie mehr passieren“. Vielleicht ist es doch Kopfsache? „Als ich einmal führte (gleich zum Saisonstart in Lake Placid, eine von Keisingers Lieblingsbahnen/Anm. d. Red.), nach dem ersten Lauf, war ich als letzter Starter des zweiten Durchgangs schon eine Spur nervöser und habe darüber nachgedacht, dass das jetzt der erste Sieg werden könnte. Am Ende reichte es für Platz 5.“ Wenn es andersrum ist und Keisinger als Zwölfter nichts mehr zu verlieren hat, geht er möglicherweise doch unbekümmerter an die Sache – eine plausible Erklärung für seine Aufholjagden wäre das allemal. „Ich lerne aus diesen Situationen unglaublich viel“, verspricht er seinen Trainern und Fans.

„G‘scheid g’wurmt“ hat den Keisi der Ausgang der Heim-WM in Altenberg: „Wir haben Gold, Silber und Bronze geholt – und ich war Fünfter. Das ärgert mich noch heute“, ist der Groll darüber immer noch nicht ganz verraucht. „Freilich hat‘s mich für meine Team-Kollegen gefreut, aber ich wär halt schon gern selbst vorn dabei gewesen.“ Felix Keisinger lobt ausdrücklich den tollen Zusammenhalt im deutschen Team: „Der Axel Jungk ist ein richtig guter Freund geworden. Er hat mir ganz selbstlos viel beigebracht.“

Was die Skeleton-Piloten ganz allgemein richtig ärgert, ist der „Renntag Freitag“. Dadurch findet Skeleton nicht selten unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt – „Geisterrennen waren uns also schon vor Corona bekannt“, meint Keisinger mit einem Schmunzeln und schiebt einen Vorschlag Richtung Weltverband IBSF nach: „Die Bahnzeiten sind meist von 8 bis 20 Uhr – man würde uns also theoretisch am Samstag oder Sonntag mit unterbringen, wenn die Bob-Rennen stattfinden“. Sofort hätten die „Kopfvoraus-Rodler“ wesentlich mehr Zuschauer. Am Königssee, für Felix Keisinger die schönste Bahn, ist das kein Problem. Genauso wie in Sigulda: „Die Begeisterung der Letten für unseren Sport ist gewaltig. Ich fahre dort so gern. Freilich kommen die Fans vor allem wegen der Dukurs-Brüder, aber es sorgt schon für Gänsehaut, wenn Tausende an der Bahn eine La-Ola-Welle machen, wenn man an ihnen vorbeifährt.“

Der große Lette, das große Vorbild

Der große Lette Martins Dukurs ist überhaupt ein großes Vorbild für Felix: „Wie der fährt, das ist eine Augenweide – ein absoluter Musterathlet. Bei der Bahnbesichtigung schauen sich alle an, wie er an der schwierigsten Stelle fährt. Das sagt doch alles.“ An Olympia 2022 mag Keisinger noch nicht denken: „Das ist noch weit weg. Ich möchte bescheiden bleiben. Die nächste Saison wird vielleicht die schwierigste für mich, weil ich bestätigen und liefern muss.“ Und er muss sich neu beweisen: Unter dem neuen Bundestrainer Christian Baude und seinem Stützpunktcoach David Lingmann. „Ich habe vielleicht aufgrund meines jungen Alters am wenigsten zu verlieren. Aber ich hoffe, mich trotz starker Konkurrenz im eigenen Lager wieder für den Weltcup zu qualifizieren“, sagt Felix Keisinger zum Abschluss des Gesprächs mit dem „Berchtesgadener Anzeiger“. Auf die Sport-Gala 2021 freut er sich schon jetzt: „Weil das eine schöne Veranstaltung ist, bei der man die ganzen anderen tollen Sportler trifft, die man sonst das ganze Jahr nicht sieht.“

Text und Bild: Hans-Joachim Bittner

Bild: Die Bahn in Sichtweite: Felix Keisinger (22) im Garten seines Elternhauses, im Hintergrund die Eisarena Königssee. Der Weg als Weltklasse-Skeleton-Pilot war „geografisch“ irgendwo vorgezeichnet.

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