Berchtesgaden. Bei der Europameisterschaft im Rahmen des Weltcups in Lillehammer, Norwegen, standen fünf Leute an der Bahn: „In diesen Momenten kommt unser Sport am Rande schon auch mal recht trist daher“, sagt Rennrodlerin Anna Berreiter, die von der Sport-Gala-Jury zu Berchtesgadens „Nachwuchssportlerin des Jahres“ gewählt wurde. „Wenn du dann jedoch am Ende der Saison ins Ziel am Königssee fährst, auf der Heimbahn, und da stehen tausende Menschen und jubeln dir zu – dann weißt du, wofür du das machst“. Die 20-Jährige feierte beim „Weltcup-Finale dahoam“ Ende Februar ihren zweiten Sieg in einem Einzelrennen bei den Erwachsenen und genoss ihren ganz persönlichen, krönenden Saisonabschluss in vollen Zügen. Alle Kufensportler hatten – als einzige Wintersportler weltweit – die Saison gerade noch vor der großen Corona-Krise regulär abschließen können.

Ihren ersten Weltcup-Einzel-Erfolg fuhr Anna Berreiter – für sie selbst „völlig überraschend“ – in Oberhof ein. „Bis dahin nicht gerade meine Paradebahn.“ Im Thüringer Wald war es also der „besondere, der unerwartete Moment“, der sie gern an den 2. Februar dieses Jahres zurückdenken lässt. „Natürlich wird mir dieser Ort und dieser Tag ein Leben lang in bester Erinnerung bleiben – schließlich gewann ich dort mein erstes Weltcuprennen“. Und deshalb möchte sie diesen Sieg nicht mit jenem am Königssee vergleichen: „Das war ganz anders, anders schön“, sagt sie augenzwinkernd. Denn vor der eigenen Familie, den Freunden und Fans zu gewinnen, gehört für jeden Sportler dieses Erdballs sicher zu den ganz besonderen Höhepunkten – und das kann Anna Berreiter schon mal niemand mehr nehmen: „Ich hatte mich die ganze Saison auf Königssee gefreut, wollte dort allen zeigen, wie hoch mein eigener Anspruch ist und was ich kann. Es hat geklappt. Das war einfach wunderbar.“ Und so werden diese beiden ersten Siege in Oberhof und „mit der ganz besonders positiven Anspannung“ am Königssee „für immer einen ganz besonderen Stellenwert in meinem Leben behalten.“

Besondere Anspannung herrschte kurz zuvor auch bei der WM in Sotschi, wenngleich „es fast ein Rennen wie jedes andere war, mit den gleichen Konkurrentinnen“. Mit Platz 6 konnte Anna nach ihrer ersten FIL-Weltmeisterschaft leben: „Die Bahn hat mich geliebt und gehasst“, meinte sie im Anschluss.

Traurig über abgesagte Sport-Gala 2020

„Natürlich ist es extrem schade, dass die Sport-Gala heuer nicht stattfinden kann. Ich war noch nie dort, für mich wäre das neu und dadurch besonders gewesen. Das hätte ich sehr gern mitgenommen. Die besonderen Umstände müssen wir aber nun alle hinnehmen“. Anna Berreiter vertraut darauf, dass die Organisatoren dieses besonderen Festabends „alles tun werden, um die Ehrungen im nächsten Jahr in einem ebenfalls würdigen Rahmen nachzuholen. Ich freue mich jedenfalls sehr über diese Auszeichnung.“

Annas starke Gesamtsaison wird durch die Sport-Gala-Ehre noch gekrönt: „Ich bin schon auch sehr selbstkritisch, weiß, woran ich arbeiten muss. Aber ich bin noch jung und habe heuer möglicherweise schon mehr gezeigt, als es allgemein erwartet wurde. Es ist gut gelaufen. Ich bin sehr zufrieden, mit mir und dem ganzen Umfeld, also dem Team, den Trainern und Betreuern.“ Ihre Anfangsnervosität mit dem Weltcup-Debüt in Innsbruck im November konnte sie von Rennen zu Rennen verringern: „Während der Fahrt war sie ohnehin stets weg. Aber man wird rasch routinierter, das geht alles ziemlich schnell.“

Gleichwohl wisse sie, dass es vor der nächsten Saison wieder nahezu bei Null losgeht. Vor allem, wenn die beiden absoluten Rodel-Größen Natalie Geisenberger und Dajana Eitberger (beide aufgrund ihrer Schwangerschaften in der letzten Saison nicht im Einsatz und mittlerweile glückliche Mütter) in die Eisröhre zurückkehren sollten. „Aber ich habe natürlich auch nichts dagegen, wenn mich das nötige Glück weiterhin begleitet“, sagt Anna. Trotzdem: „Sollte ich am Ende lesen müssen, dass ,Anna Berreiter nicht für den Weltcup qualifiziert‘ ist, muss ich auch das hinnehmen und weiterkämpfen.“ Die amtierende U23-Weltmeisterin hat jedoch großes Vertrauen, vor allem in ihr eigenes Können: „Dieser Titel unter denen, die jetzt nachkommen, zeigt mir doch für die Zukunft, dass ich vielleicht weiterhin gut dabei bin.“ Dennoch sieht sie sich weiterhin als Nachwuchssportlerin, obwohl sie am 3. September ihren 21. Geburtstag feiern wird. „Mit Natalie, Dajana werden die Karten freilich völlig neu gemischt. Nicht zu vergessen Julia Taubitz, die so stark ist. Das alles ist aber noch weit weg. Ich lasse das alles auf mich zukommen und gebe mein Bestes – so wie immer. Ich bin bereit.“

Ob die kommende Saison aufgrund der Corona-Krise überhaupt wie gewohnt stattfinden kann – und wenn mit welchen Einschränkungen –, darüber möchte sich Anna Berreiter ebenfalls noch keine Gedanken machen. „Wir müssen den Oktober abwarten“. Das Training momentan läuft „isoliert“, meistens allein: „Das macht nicht so viel Spaß, in der Gruppe ist die Motivation natürlich höher“, sagt sie. Den Sommer überbrückt sie ansonsten mit ihrem Bachelor-Studium „Recht und Wirtschaft“ in Salzburg, momentan natürlich online, also ohne Kontakt zu den Kommilitonen.

Sie denkt schon sehr viel weiter

Zu ihren großen Zielen befragt denkt Anna Berreiter nicht in erster Linie an Medaillen bei Olympischen Spielen oder Weltmeisterschaften. „Natürlich möchte ich bei Olympia starten, das ist doch keine Frage. Wichtiger ist für mich jedoch, dass ich irgendwann – wenn die Karriere einmal vorbei ist – sagen kann, dass ich alles richtig gemacht habe. Ich möchte mir selbst danach nichts vorwerfen müssen und auch nach der sportlichen Zeit ein gutes, erfülltes und zufriedenes Leben führen.“ Schließlich wisse man doch nie, was noch alles komme: „Wer kann schon sagen, ob er von Verletzungen verschont wird oder was sonst noch so alles dazwischenkommt – Corona zeigt uns doch gerade brutal, wie schnell sich alles unvorhergesehen ändern kann. Darum versuche ich sehr an mir zu arbeiten, die Zeit so gut wie möglich zu genießen.“

Bislang, sagt Anna Berreiter, werfe sie sich nichts vor: „Ich führe ein tolles Leben. Es ist, bei all der harten Arbeit, die dahintersteckt und die viele nicht sehen, ein ganz besonderes Privileg, so ein Sportler-Leben. Es ist Verzicht, Akribie, ein oftmaliges über den eigenen Schatten springen, ein hohes Maß an Disziplin, das ist klar – und dennoch ist es eine extrem coole Zeit. Und das soll auch so bleiben, die ganze Karriere und das Leben danach. Ich versuche, täglich zu lernen und alles mitzunehmen – und selbst die nicht so guten Tage als gegeben hinzunehmen und nicht mit ihnen zu hadern.“ Große Worte einer Sportlerin, die ganz genau weiß, was sie will, die einen geraden, zielstrebigen Weg eingeschlagen hat, den sie auf dem Boden der Tatsachen stets realistisch und zuversichtlich gehen will. Im Bezug auf ihr Ziel befindet sie sich offenbar auf der richtigen Spur – denn: „Bis hierhin war es schon mal eine absolut coole Zeit“, schmunzelt sie zum Abschluss des Gesprächs mit dem „Berchtesgadener Anzeiger“.

Text: Hans-Joachim Bittner

Bild: Ein großer Moment, den sie für immer in bester Erinnerung behalten wird: Am 29. Februar gewann Rennrodlerin Anna Bereiter im Rahmen des „Weltcup-Finales dahoam“ gleich ihr erstes Heimrennen am Königssee. / Foto: Hans-Joachim Bittner

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