„Königssee? Da steh ich mit einem breiten Grinser am Start“ 

Schönau am Königssee. „Ich fahr aus Spaß Bob. Natürlich will ich immer gewinnen. Wenn andere aber besser sind, sind sie eben besser.“ Daheim hat er genug zu tun, sagt Hansi Lochner, im Betrieb der Eltern. „Und außerdem studiere ich Elektrotechnik in München, da muss jetzt mal was vorangehen. Ich will meine Masterarbeit schreiben. Und irgendwann sollte ich vielleicht eine eigene Familie gründen“, meint der, der sich mit erst 29 schon als „alten Mann“ bezeichnet, im Gespräch mit dem „Berchtesgadener Anzeiger“. Gerade liegt die Steuer auf dem Schreibtisch, und fürs Studium ist „in dieser komischen Corona-Zeit“ ebenfalls viel Raum und reichlich geschenkte Zeit: „Aber langweilig ist mir schon auch mal, in diesen Tagen“, sagt er und dehnt seinen Körper mit einem tiefen Seufzer: Einen Tag vor dem Interview begann wieder das „richtige Training“ – da meldet sich immer erstmal der Muskelkater.

Die Sport-Gala-Jury hat den Lochner Hansi mit seiner Crew zum zweiten Mal nach 2017 – damals im Rahmen der 1. Sport-Gala – zur „Mannschaft des Jahres“ gekürt. „Ich freu mich schon auf den schönen Preis vom Heinz Quittenbaum, der einer meiner Sponsoren ist“. Dass die Übergabe noch ein Jahr entfernt ist, stört den Bob-Mann aus der Schönau nicht sonderlich: „Das läuft uns nicht weg“.

Die erste Bobfahrt ließ auf sich warten: Lochner stieg 2010, also mit 20 Jahren, das erste Mal in einen Schlitten, einen Vierer. An den Lenkseilen saß Matthias Böhmer. Ebenso das erste Mal. „Hätte ich das gewusst, wär ich da nicht eingestiegen – und heute nicht selbst Pilot“, lacht der 2017-Weltmeister. „Schaust halt mal zum Sanktjohanser“, hatte Lochners Onkel Rudi, einst selbst mit Olympia-Silber dekoriert, zum Hansi gemeint. Der klingelte an der Bahn, die keine drei Kilometer vom Elternhaus entfernt ist, beim Trainer an und wurde gleich mal mitgenommen. „Im Ziel haben dann alle geklatscht und ich dachte, dass das hier normal ist, wie in einem Flugzeug nach der Landung.“ Erst später erfuhr er, dass es die erste Fahrt seines ersten Piloten im großen Schlitten war.

Eine Ski-Karriere war ebenfalls möglich

Bis zum 14. Lebensjahr sah es so aus, als würde Hansi Lochner Profi-Skifahrer werden: „Zuerst war ich im Slalom richtig gut.“ Dann war er mit Leuten wie Peppi Ferstl oder Dominik Schweiger unterwegs. Geschwindigkeit war schon immer seins. Schließlich kam die Bobfahrt bei Matthias Böhmer „dazwischen“ – prompt nahm Lochner die Weiche in eine neue Richtung. „Mit dem Böhmi bin ich dann Junioren-Weltmeister 2014 in Winterberg geworden.“ Aber es reizte ihn längst, sich selbst ganz vorn in die im Grunde unbequeme Blechkiste zu setzen – und so rückte Lochner im Böhmer-Bob langsam nach vorn. Es folgte die Königssee-Debüt-Fahrt an den Lenkseilen, zum Ende der Saison 2013/14. Sie klappte perfekt. „Bei der zweiten war ich zu draufgängerisch, da hat‘s mich gleich in den S-Kurven ordentlich aufs Maul g‘haut – und dahin war die erste Euphorie.“ Er habe überhaupt nicht kapiert, was er da mache, sei einfach runtergefahren.“ Der Sommer kam zur echten Zeit, ab der Saison 2014/15 ging Hansi Lochner die Sache akribischer an, mit mehr Respekt. Die ersten guten Ergebnisse ließen nicht lange auf sich warten, unter anderem mit vier Siegen im Zweierbob-Europacup. Bei seinem Weltcup-Debüt am 24. Januar 2015 in St. Moritz wurde Lochner starker Fünfter. 2015/16 gewann er alle zwölf EC-Rennen, in denen er antrat. Eine große Überraschung war die WM-Silbermedaille in Winterberg mit Anschieber Joshua Bluhm – hinter Francesco Friedrich und Thorsten Margis. Bis heute sind diese beiden seine größten Konkurrenten (siehe Extra-Kasten). Die ersten Weggefährten waren 2011-Weltmeister Manuel Machata, heute ein guter Spezl, und Karl Angerer – „zu ihnen hab ich aufgeschaut“.

Gedanken an das Karriereende kommen Johannes Lochner – seit ihn der Hartl Sanktjohanser plötzlich Hansi rief, ist er für alle der Hansi und das sei völlig in Ordnung – immer wieder mal, obwohl das Bobfahren „nach wie vor riesig Spaß macht, vor allem im Vierer.“ Nach einer Saison reicht es Lochner allerdings jedesmal komplett, wenngleich diese nur drei echte Wettkampf-Monate andauert. „Aber diese Zeit ist halt brutal intensiv. Die Rennen, danach die Interviews, dann alles zusammenpacken, das ganze Verladen und Festzurren der Bobs, vielleicht 800 Kilometer zum nächsten Weltcup fahren, alles wieder auspacken, trainieren, der nächste Wettkampf – immer der gleiche Rhythmus, immer nur in Hotelbetten schlafen, das nervt mit der Zeit schon gewaltig“, sagt Lochner ehrlich. Jedesmal im März habe er schließlich definitiv „keinen Bock mehr auf Sport“ und freue sich auf ganz andere Dinge: Radfahren, Golfspielen, Lernen fürs Studium, Freunde treffen – „einfach daheim sein“. In der Schönau ist das freilich keine schlechte Sache, die Familie in der Nähe, die Eltern, das eigene Zuhause, nach stets einem Winterhalbjahr-Unterwegssein insgesamt.

Kurz davor, alles hinzuschmeißen

2017, der WM-Königssee-Wahnsinn mit Doppel-Gold für Deutschland, für die nach vier Läufen zeitgleichen Lochner- und Friedrich-Schlitten, hätten den Hansi aus der Schönau dann geprägt, sagt er: „Vor allem für die WM 2020.“ In Altenberg holte Lochner routiniert zweimal Silber, jeweils hinter Rekordmann Friedrich. Er musste sich die ganze Saison in einer „harten Ausscheidung“ mit Nachwuchspilot Richard Oelsner herumschlagen und immer wieder neu beweisen, obwohl er stets die besseren Ergebnisse lieferte. „Das war extrem nervig und hart für mich“, sagt er mit etwas Abstand. Kurz sei er sogar davor gewesen, alles hinzuschmeißen: „Ich sage dann immer ganz offen meine Meinung, im Fernseh-Interview, meinem Trainer. Ich erpresse niemanden. Aber ich meine es ernst, wenn ich sage, dass ich aufhöre, wenn ich mich ungerecht behandelt fühle. Nochmal: Ich fahre Bob, weil mir das Spaß macht. Geht das verloren, kann ich etwas anderes machen, das ist kein Problem.“

Lochners „Problem“: „Ich bin kein Trainings- oder Ausscheidungsfahrer. Ich kann mein ganzes Potenzial tatsächlich nur im Wettkampf abrufen“. Das birgt hie und da den Nachteil, dass sich die Trainer nach möglicherweise nicht ganz so guten Testfahrten Lochners gegen ihn entscheiden. Im Wettkampf zeigt der gebürtige Berchtesgadener jedoch fast immer, dass er zu den Top-Drei in der Welt gehört, egal ob im Zweier oder im Vierer. Die Ergebnisse sprechen für ihn: Im kleinen Schlitten durfte er in der abgelaufenen Saison nur dreimal Starten – die Resultate: Zweimal Platz 1, einmal Rang 2. Im Vergleich Richard Oelsner – ebenfalls dreimal am Start: Ein 3., ein 4. und ein 5. Platz. Gleichwohl hängt Lochner seine Ergebnisse nicht an die große Glocke: „Das Niveau im Weltcup insgesamt ist derzeit nicht sonderlich hoch. Da müssen wir deutschen Piloten mit unseren Möglichkeiten zwangsläufig unter den Top-Fünf sein“. Er wünsche sich wieder mehr ernsthafte Konkurrenten, beispielsweise mit der Qualität eines Oskars Kibermanis.

Ein Genussmensch

Hansi Lochner ist ein Genussmensch. Er schafft es, bei all dem Druck, liefern zu müssen, so manche Bobfahrt richtig zu genießen. „Vor allem auf einer Bahn wie in Altenberg. Wenn du dort die Kurven richtig triffst, dann ist das ein richtig geiles Gefühl.“ Whistler und Lake Placid seien ebenfalls „richtig coole Hirn-Einschalt-Bahnen“. Es gebe nichts Schöneres, als „die Kiste einfach nur laufen lassen zu können“. Und am Königssee „stehe ich sowieso mit einem breiten Grinser am Start“.

Für die nächste Saison ist Hansi Lochner gesetzt, neben Friedrich, weil bereits „langsam“ die olympische Vorbereitung für 2022 in Peking beginnt. „Somit können wir in Ruhe arbeiten, weil wir wissen, sicher im Weltcup dabei zu sein. Somit läuft die Vorbereitung gleich ganz anders, weil der Fokus von Anfang an auf den entscheidenden Dingen liegt.“ Überhaupt ist Olympia noch ein großer Traum Hansi Lochners, nachdem Pyeongchang 2018 mit einem 5. (Zweier) und einem 8. Platz (Vierer) nicht nach Wunsch lief. Vom zurückgetretenen Nico Walther kommt Eric Franke neu ins Lochner-Team. „Mit ihm habe ich auf der Vierer-Position künftig einen starken Ersatz, sollte sich Christian Rasp verletzten.“ Mit Benedikt Hertel begrüßt der Vierer-Gesamtweltcup-Zweite vor der neuen Saison einen weiteren Neuzugang in seiner Truppe. Der Thüringer saß bereits beim Königssee-Weltcup Ende Januar mit im gelben Lochner-Schlitten und holte Platz 2.

Text / Bilder: Hans-Joachim Bittner


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